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Gute Laune kann man essen | Archiv-Institut

Welchen Einfluss hat unsere Ernährung auf Lust, Laune und die geistige Leistungsfähigkeit ?

Dr. med. Frank Ingwersen, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, zum Thema und Zusammenhang von psychischer Gesundheit und Vitalstoffmangel.

Im Jahr 2018 hatte ich bereits einen wissenschaftlicheren Artikel geschrieben („Mit den Nerven zu Fuß“ https://nem-ev.de/wp-content/uploads/2023/10/nutritionpress_2_2018_Dr_Ingwersen.pdf) in der Hoffnung, dass dadurch weniger Menschen zum Psychiater gehen müssen. Heute bin ich wieder da, etwas kürzer, übersichtlicher und mit dem Appell: „Sorgen Sie bitte für sich, die Zeiten sind extrem fordernd, damit Sie auch psychisch gesund bleiben“! 

Seit über 40 Jahren beschäftige ich mich mit Ernährungsphysiologie, in meinem Arztberuf habe ich diese Herzensangelegenheit in der Inneren Medizin, der Sportmedizin, der Umweltmedizin oder einer Neurotoxikologischen Ambulanz weiterverfolgt. Heute als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in einer Landarztpraxis an der Westküste Schleswig-Holsteins, habe ich einen ganzheitlichen Blick auf die Anliegen meiner Patienten.

Das Symptom

Seit Jahren (besonders in den letzten 3 Jahren) kommen immer mehr junge Menschen mit Erschöpfungszuständen, Angst- und Panikattacken, ADHS und depressiven Verstimmungen zu mir. Der Leidensdruck der Menschen ist nur schwer zu ertragen, ebenso wie der Ansturm auf die psychiatrischen Praxen. Das macht mich sehr nachdenklich! Wer geht denn freiwillig zum Psychiater? Zumal diese Berufsgruppe nicht das beste Image hat. Und wer nimmt schon freiwillig die teilweise extrem langen Wartezeiten auf einen Ersttermin in Kauf, wenn er als neuer Patient überhaupt einen Termin bekommt?

Meist ist der Leidensdruck sehr groß und die Hilfesuchenden wirken oft verzweifelt, schildern Ängste, Panikattacken, Schlafstörungen, körperlich-geistige Leistungseinbußen und depressive Symptome. Sie führen zu Leistungseinbrüchen in Beruf, Studium oder Schule und meist zu einer gewissen Unruhe oder Veränderung in sozialen Kontexten am Arbeitsplatz und in der Partnerschaft. Sie hätten nie gedacht, dass sie sich so fühlen, sich ihr Leben so deutlich verändert, da sie sich so nicht kennen.

Nun erhoffen sie sich Hilfe von einem wie mir. Aber ist es jetzt Zeit für das, was viele Menschen von einem Psychiater erwarten? Vielleicht ein gutes Gespräch, mit Glück haben die Patienten das Gefühl, von ihrem Gegenüber gesehen zu werden und dann ....

Wie sieht die Hilfe aus?

Viel zu oft werden Psychopharmaka empfohlen. Mit Glück helfen sie oberflächlich, behandeln aber nicht die Ursache, die auch in einem Mangel oder Ungleichgewicht von Vitalstoffen liegen kann. Manchmal liegt die Ursache auch in Medikamenten, die z.B. wegen Magenbeschwerden, Diabetes oder zur Schwangerschaftsverhütung eingenommen werden. Mit psychopharmakologischen Schnellschüssen ist es aus meiner Sicht nicht getan, zumal die Hilfesuchenden dieser Medikamentengruppe oft skeptisch und mit Vorbehalten gegenüberstehen. Es hilft also alles nichts! Um zu einer vernünftigen Abklärung und Diagnose zu kommen, braucht es Zeit und das Interesse des Behandlers, möglichst das ganze Bild des Patienten zu erfassen.

Die Frage ist immer: "Was steckt hinter der Geschichte, die ich gerade gehört habe“? Spätestens bei den Themen Ernährungsformen, Essgewohnheiten, Heißhungerattacken oder Darmbeschwerden schauen meine Patienten verwundert. Im nächsten Moment landen wir bei Erklärungen zur Stoffwechselphysiologie und den möglichen körperlichen und psychischen Symptomen sowie den Folgen von Mangel- und Fehlernährung.

Ganz zu schweigen von den Umweltbelastungen, denen unser Nervensystem ausgesetzt ist. Unser zellulärer Baukasten (DNA), mit dem wir ausgestattet sind, ist sehr alt. DNA-Anpassungen an die Lebensumwelt dauern in der Natur Jahrtausende. Wir sind heute mit einer evolutionären Nervenausstattung unterwegs, die etwa 10 bis 15 Tausend Jahre alt ist. Damals gab es all unsere modernen technischen Dinge, Zeittaktung, Lärm etc. noch nicht. Wir sind also für die heutigen vielfältigen Belastungen grundsätzlich nicht gut gerüstet und damit für das heutige Leben „auf Kante genäht“.

Die zunehmenden Stoffwechselerkrankungen, die ihren Ursprung oder als Begleitumstand Entzündungen oder sogenannte „stille Entzündungen“ mit sich bringen, führen immer wieder zu Folsäuremangelzuständen (Vit. B9) und zu Vit. D - Mangelzuständen. Damit ist es sehr wahrscheinlich, dass diese Menschen im Laufe einer fortschreitenden (primär nicht psychischen) Erkrankung mit den Nerven am Ende sind.     

Werfen wir einen kurzen Blick auf die Vitalstoff-Klassiker, mit denen ich mich in meiner Praxis seit vielen Jahren beschäftige. Dieses sind die B-Vitamine B6, B12 und Folsäure (B9) sowie Vit D.

Vitalstoffe in der Praxis

Vitamin D spielt auch für die Psyche eine wichtige Rolle. Ich höre in den Berichten der Patienten immer wieder Antriebslosigkeit („ich komme morgens einfach nicht hoch“) und Lustlosigkeit („alles fällt so schwer“) als Hinweis auf einen Vitamin D-Mangel. Diese trifft insbesondere dann zu, wenn die Patienten auch noch von den beliebten "Winterdepressionen" berichten. Die Bestimmung im Blut-Labor gibt Aufschluss über den Vit. D-Spiegel, dabei sollte auch die Schilddrüsenfunktion geprüft werden.

Bei Vegetariern und Veganern sind die Probleme mit Vitamin B12 hinlänglich bekannt und eine entsprechende Nahrungsergänzung wird teilweise schon durchgeführt (B12 allein reicht oft nicht aus). Doch wie kommen wir den anderen B-Vitaminen auf die Schliche?  Ganz einfach, ich verzichte auf die Einzelbestimmung im Blut (zu teuer) und schaue mir den Funktionswert an. Denn ich möchte wissen, ob die B-Vitamine, vor allem aber B6, B12 und B9 ausreichend vorhanden sind, um die Funktion der Eiweißsynthese zu überprüfen. In der Eiweißsynthese werden unsere Nervenbotenstoffe hergestellt!

Für eine gute Eiweißsynthese und die damit verbundene Produktion von Neurotransmittern (Nervenbotenstoffen) benötigen wir insbesondere die B-Vitamine, B6, B12 und Folsäure. Funktioniert die Synthese der Nervenbotenstoffe nicht ausreichend, ist vermehrt Homocystein im Blut nachweisbar.

Homocystein ist der Indikator für einen funktionellen Mangel an Vitamin B6, B12 und Folsäure.

Für einen Überblick: Psychische Symptome bei Vitalstoffmangel, hier ein kleiner Auszug in vereinfachter Darstellung: [1].

  • Vitamin B1 (Thiamin): Konzentrationsschwäche, Aufmerksamkeitsstörungen
  • Vitamin B2 (Riboflavin): Konzentrationsschwäche, Müdigkeit/Abgeschlagenheit, Depressionen
  • Vitamin B3 (Niacin): Depressionen, Psychosen (Wahn/Realitätsverlust)
  • Vitamin B5 (Pantothensäure): Gedächtnisstörungen, verminderte Stresstoleranz
  • Vitamin B6 (Pyridoxin): Gedächtnisstörungen, Reizbarkeit, Psychosen
  • Folsäure B9: Angstzustände, Depressionen, Psychosen
  • Vitamin B12 (Cobalamin): Gedächtnisstörungen, Depressionen, Verwirrtheit, Psychosen

Homocystein:

Die normalen Plasmawerte von Homozystein werden zwischen 4 und 12 µmol/l angegeben. Der Homocysteinspiegel sollte unter 10 µmol/l liegen [2], um eine ausreichende Proteinsynthese von Neurotransmittern zu gewährleisten. Optimal sind Werte zwischen 5 und 7 µmol/l. Die Internisten haben ihren Referenzwert bei <12 µmol/l aufgrund der beschriebenen Toxizität an den Blutgefäßen ab 12 µmol/l festgelegt. Diese Reizung an den Blutgefäßen führt im Verlauf zu Arteriosklerose, erklärt aber auch „unklare“ (weil nicht untersuchte) Blutdruckerhöhungen. Eine Gewebereizung führt immer zu einem Entzündungsprozess, der wiederum immer mit einer Schwellung des Gewebes einhergeht. Und wohin kann ein Blutgefäß (gut verpackt in Bindegewebe, Muskulatur und Faszien) am leichtesten anschwellen? Natürlich nach innen! Dadurch verengt sich der Querschnitt des Blutgefäßes. Infolgedessen steigt der Blutdruck, da das Herz die gleiche Menge Blut in den Kreislauf pumpt und nun zusätzlich belastet wird. Häufig finden sich Homocysteinerhöhungen und Cholesterinerhöhungen zeitgleich bei den Patienten. Weil der menschliche Körper Cholesterin im hohen Maße selbst prodoziert und es als Schutz vor dem toxischen Homozystein in die Blutgefäße "schmiert".

Was wird gebraucht und was wird gemacht?

Wenn Sie einen Mangel an Vitamin B6, B12 und Folsäure haben, könnten Sie zur Linderung Ihrer Symptome und Beschwerden (Depressionen, Angst- und Panikgefühle, Schlafstörungen, Erschöpfung usw.) von Ihrem Arzt ein psychiatrisches Medikament (z.B. den Wirkstoff Citalopram oder Escitalopram) erhalten.

Diese Medikamente wirken als Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und sind ein klassisches Beispiel für psychiatrische Medikamente dieser Wirkstoffklasse. Citalopram verhindert, dass das aus den Serotoninspeichern freigesetzte Serotonin (das zunächst an die Nerven andockt und dort für positive Gefühle, mehr Antrieb und Freude sorgt) wieder in die Serotoninspeicher aufgenommen wird. Dadurch kann die stimmungsaufhellende Wirkung länger anhalten, setzt aber die regelmäßige Einnahme des Medikaments voraus.

Das Medikament „verdeckt“ dabei nur den Mangel an Neurotransmittern. Gelingt es nicht, den Mangel auf der Stoffwechselebene zu beheben, benötigen die Patienten in der Regel dauerhaft ein solches Medikament.

Psychopharmaka werden mindestens für ein ¾ Jahr gegeben. Danach wird versucht, es ausschleichend abzusetzen. Leider ist dies oft nicht von Erfolg gekrönt, da sich die Grundfunktionalität des Neurotransmittersystems nicht positiv verändert hat und immer noch ein Mangel an Nervenbotenstoffen besteht.

Da die Bestimmung einzelner Vitamine zwar möglich, aber für die Patienten oft zu teuer ist, bediene ich mich der Homocysteinbestimmung im (Blut-)Plasma. Dies ist eine seit vielen Jahren gut erprobte und zuverlässige Methode, für die mein Labor den Patienten ca. 32 Euro in Rechnung stellt (die Krankenkassen habe die Sinnhaftigkeit dieser Untersuchung leider noch nicht erkannt und übernehmen die Kosten nicht).

Damit ist dann ggf. der Nachweis erbracht, dass die Eiweißsynthese/Neurotransmittersynthese gestört ist und nicht ausreichend funktioniert. Dies eröffnet nun auch den Behandlungsweg im Bereich der Vitalstoffe, die das Neurotransmittersystem regenerieren (seltene Ausnahmen sind Gendefekte) und das Nervensystem wieder in die natürliche, physiologische Funktionalität bringen.

Daher empfehle ich meinen Patienten in diesen Fällen ein orales Vitamin-B-Komplex-Präparat mit (B2, B6, B12 und Folsäure (B9), wobei Vitamin B12 als Methylcobalamin vorliegt) meist über einen Zeitraum von 5 - 6 Monaten.

Seit Jahren führe ich bei meinen Neupatienten eine Laborstatistik bezüglich Vitamin D und dem Homocysteinspiegel durch. Von meinen Neupatienten (ca. 140 -180 pro Jahr) haben 70% einen Vitamin D-Mangel und 74% einen zu hohen Homocysteinspiegel! Unter kurzfristiger „psychiatrischer“ Begleitung „verliere“ ich 50% meiner Neupatienten, da sich ihr Stoffwechsel wieder ausreichend reguliert hat und sie ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen können. Die Patienten bemerken bei individuell angepassten Dosierungen innerhalb von 2-3 Wochen eine positive Veränderung. Sie sind erleichtert nicht psychisch krank zu sein und können sich ihrem Stresslevel entsprechend ernähren oder eine Nahrungsergänzung nutzen. Natürlich ist es für die Patienten auch wichtig achtsamer mit sich und den individuellen Belastungen umzugehen.  Bei den Anderen 50% haben wir die Spitze des Eisbergs gekappt und können uns um weitere Begleitumstände der Patienten kümmern.

Für die Patienten ist es besonders entlastend zu wissen, dass sie auf Dauer keinen Psychiater benötigen. Sie haben erfahren das sie ihrer Psyche nicht ausgeliefert sind und keine Angst haben müssen die Kontrolle zu verlieren.

Sie haben es selbst in der Hand, wie gesund Sie sind. Ich wünsche uns allen viel Erfolg dabei und essen Sie möglichst viel gute Laune!

Eine Übersicht von Nahrungsmitteln die B- Vitamine enthalten finden Sie auch im Originalartikel  "Mit den Nerven zu Fuß"

 

Literatur: 

[1]          Holford,P.; New optimum nutrition for the mind; Piatkus (2007)
[2]          Kuklinski, B.´; Mitochondrien; 2. Aufl.; Aurum (2016)

Autor:

Dr. med. Frank Ingwersen, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
Sandkuhlenweg 18, 25885 Ahrenviöl

info@dr-ingwersen.de

www.dr-ingwersen.de

Artikel AMM von Dr. med. Frank Ingwersen 07.10.2023